thomas schüpping nichts aber die Wahrheit

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Schon seit Jahren gehört Thomas Schüpping hierzulande zu den wichtigen Fotografen. Unbemerkt von der Öffentlichkeit hat er daneben ein freies fotografisches Werk geschaffen, mit dem er sich ziemlich gegenläufig zum Bedeutungsspektrum und zu den Mythen seines Genres verhält. Zwar greift er dessen Sujets und Orte auf, arbeitet sogar mit den gleichen Kulissen und Models, aber er entledigt sich ihres suggestiven Scheins und sieht sie neu – und wie zum ersten Mal: Voller Erstaunen und Respekt wird die Idee der fotografischen Bannung mit ganzer Hinwendung umgesetzt, mit der Genauigkeit und Versiertheit des erfahrenen Fotografen. Im Laufe der Jahre sind dazu mehrere Werkgruppen fotografischer Bilder entstanden. Die einzelne Aufnahme besitzt für sich Gültigkeit, ihre Tragweite aber vermittelt sich erst als Folge von Bildern. Dies gilt im besonderen für die Porträts als einem der zentralen Sujets von Schüppings künstlerischer Arbeit.

Die Aufnahmen der Porträts kennzeichnet in ihrer Einheitlichkeit eine große Konsequenz. Sie sind schwarz-weiß in hoher Graduation mit hohem Schwarzanteil, vorgesehen für den großformatigen Abzug. Der harte Kontrast von Hell und Dunkel fördert noch den Eindruck des Nüchternen, von Sachfotografie. Ausschließliches Sujet sind nicht weiter identifizierte Frauen einer bestimmten jüngeren Generation, die im Ausschnitt, als Häupter und Büsten vor einem neutralen Lichtraum, frontal im Gegenüber fotografiert sind. Sie geben bestimmte Bedeutungsebenen vor. Dass sie einer gesellschaftlich arrivierten Schicht zugehören, vermitteln beiläufige Gegebenheiten, etwa das selbstbewusste Verhalten mit dem meist direkten Blick in die Kamera, das mit dem Heben oder auch Senken des Kopfes verbunden sein kann. Neben Gestus und Mimik spielen die Accessoires eine Rolle. So verbirgt ein Streifen Stoff die Brust. Innerhalb der Bildkomposition kommt den Haaren eine besondere Bedeutung zu: Wesentlich ist, wie diese in welchem Farbton das Gesicht mit seinem Inkarnat umfangen und welche Präsenz sie für das Porträt und als rein grafischer Verlauf im Bildraum einnehmen. Thomas Schüpping greift damit ein motivisches Moment auf, welches ihm aus seiner angewandten Tätigkeit vertraut ist; mitunter hat es dort sogar in Ausschließlichkeit – als All-over in relativer Abstraktion – das Format besetzt.

Bei seinen Porträts nun verzichtet Thomas Schüpping auf jede äußere Auffälligkeit und auf das „Gestylte“ des Models, welches die Aufnahmen im Modebereich kennzeichnet und überhaupt mehr und mehr ein gesellschaftliches Thema ist. Denken wir nur an das inflationäre Interesse an Schönheitsoperationen und an einer kanonisierten Vision von Schönheit. Thomas Schüpping realisiert seine Frauenbildnisse ohne Verfremdungs- und Bereinigungseffekte. Das Ungekünstelte seiner Fotografien – und der Models – ist ihm gerade wichtig. Die Frauen sind weitgehend ungeschminkt, Veränderungen der Haut bleiben, wie sie sind. Das Licht ist gleichmäßig und fern jeder Theatralik, welche sich aber mitunter im „Wehen“ der Haare oder im Heben der Arme andeutet. Es gibt nicht die eine, die perfekte Aufnahme, vielmehr ist ein Prinzip dieser Werkgruppe, dass das gleiche Model wiederholt vorkommen kann in fast identischer Körperhaltung oder mit einem etwas anderen Verhalten gegenüber der Kamera, aber immer im Duktus des Selbstverständlichen und Unaufgeregten. Die porträtierten Frauen geben sich, wie sie sind, vergessen dabei aber die Kamera als Gegenüber nicht. Der Blick hält inne, eine Ewigkeit lang, ohne je starr zu wirken. Daraus resultieren stille Begegnungen: Wann ist das Model ganz bei sich und wie verhält es sich in seiner Hinwendung zur fotografischen Aufnahme? Was bedeutet es, den Kopf zu senken oder auf die Seite zu legen; welche Gestimmtheit vermittelt sich dadurch? Inwieweit teilen das Gesicht, seine Formung, die Mimik und das Verhalten vor der Kamera Lebenserfahrungen und Attitüden mit? Lässt sich überhaupt etwas verbergen, und kommt in der sachlichen Offenlegung nicht gerade eine innere Befindlichkeit zum Ausdruck?

Mit der Konstanz seiner Recherchen und schon der Entscheidung für den Ausschnitt, der Frage des Blicks und des Anblickens erreicht Thomas Schüpping ein Spektrum zwischen Zurückhaltung, meditativem Eins-Sein und Dominanz vor und gegenüber der Fotokamera. Auf subtile Weise rückt er die Persönlichkeit selbst in den Vordergrund, die porträtierten Frauen posieren nicht. Die Sinnlichkeit selbst, die sie vermitteln, ist wahr. Im übrigen, Nacktheit hat hier nie etwas Aufreizendes, sie ist Teil des Leiblichen. Und indem er in seinen fotografischen Porträts auf Pathos und Arrangement verzichtet, entlarvt Thomas Schüpping die Leere von Ritualen. Er ersetzt Künstlichkeit durch Natürlichkeit. Er handelt an der Grenze zwischen Selbstverständlichkeit und Tiefgründigkeit und legt lapidar ein Bild vom Menschen hinter aller Kulissenhaftigkeit und vor jedem Status frei. Alle äußere, mithin zelebrierte Schönheit ist vorübergehend; die Schönheit liegt vielmehr in der Persönlichkeit selbst – das sind Botschaften, die er in seinen fotografischen Bildern mitteilt. „Generell geht es mir auch um Ausdruck. Was drückt ein Bild aus“, schreibt Thomas Schüpping.

Mit seiner Serie der Porträts von (anonymen) Frauen schließt Schüpping an die so unterschiedlichen fotografischen Bilder von Mode- und von Porträt-Fotografen, Künstlern mit Fotografie und Konzeptkünstlern wie Bettina Rheims, Bernhard Prinz, Roland Fischer, Roni Horn oder Michael Schmitt an. Thomas Schüpping setzt in seiner eigenen Bildsprache auf das Prinzip der Einfachheit. Er kommentiert kontrovers die eminente Beschleunigung des Sehens in den Medien des Infotainments. In unseren Zeiten ist die Klarheit des Blicks ein ungeheuerliches Statement, eine Beglaubigung der Faktizität und der Dialogfähigkeit. – Wie wahr sind eigentlich die Porträts, die uns jeden Tag im Internet angeboten werden, etwa bei facebook? Demgegenüber erstaunlich: Im alltäglichen Aufeinandertreffen und aneinander vorbei Driften der Passanten gilt der unverstellte Blickkontakt geradezu als obszön … Der direkte Blick der Frauen in den Bildern von Thomas Schüpping aber verweigert sich der Inszenierung. Ihre Enthaltsamkeit führt tatsächlich zur Offenheit, darin Intensität: Daraus lässt sich Persönlichkeit, Individualität gewinnen. Schüpping besinnt sich der Welt, die uns im Tagtäglichen – diesseits der Bühne der Selbstpositionierung und ihrer Muster im öffentlichen Leben – umgibt. Er provoziert deren Langeweile. Aber der Trick von Thomas Schüpping ist, dass sie bei ihm alles andere als langweilig ist. Sie ist der Resonanzraum, in dem sich unser Leben ereignet.

Thomas Hirsch, 2012

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